30. November 2007 aus der Österreichischen Tageszeitung "Der Standard". (Danach folgen meine Bemerkungen, die ich an den Standard geschickt habe.) http://www.derstandard.at/:
Afrika braucht in Sachen Aids unsere Hilfe. Das steht außer Diskussion. Sehr wohl aber stellt sich die Frage, wofür die Gelder in Milliardenhöhe eingesetzt werden sollen. Landis MacKellar plädiert dafür, mehr Geld in die Prävention und die Stärkung der Gesundheitssysteme zu investieren.
Infizierte von morgen haben keine Lobby
Die Aids-Milliarden für Afrika vernachlässigen Prävention, kritisiert Entwicklungsökonom Landis MacKellar im STANDARD-Interview
STANDARD: Im Kampf gegen Aids fließen im Jahr etwa sieben Milliarden Dollar nach Schwarzafrika. Was haben Sie daran auszusetzen?
MacKellar: Entwicklungshilfe im Gesundheitsbereich ist großteils auf Aids festgelegt. Das Pepfar-Programm des US-Präsidenten (President's Emergency Plan for Aids Relief, Red.), das vom US-Außenamt abgewickelt wird, verfügt über 15 Milliarden Dollar ausschließlich gegen Aids. Sechzig Prozent des Global Fonds müssen gegen Aids verwendet werden. Es wird relativ zu viel gegen diese Krankheit investiert. Kommen internationale Programme mit vielen Millionen, die gegen Aids ausgegeben werden müssen, saugen sie Ressourcen anderswo ab.
STANDARD: Können Sie Beispiele dafür geben?
MacKellar: In Ruanda fehlen beispielsweise Krankenschwestern, die Babys impfen, weil sie für das doppelte oder dreifache Gehalt Aidskranke versorgen. In armen Ländern sind Ärzte, Schwestern und Spitalbetten knapp. Ein Teil der Gelder gehört in die Stärkung des Gesundheitssystems, in Impfungen, Ausbildung und Maßnahmen gegen den Braindrain der Ärzte und Schwestern.
STANDARD: Erreichen wenigstens die Aids-Programme ihren Zweck?
MacKellar: Zwischen Prävention und Behandlung stimmt die Verteilung nicht. Das Geld fließt überwiegend in Behandlungen. Eine Studie nach der anderen zeigt, dass in Behandlung gestecktes Geld 20- bis 25-mal weniger bewirkt als jenes für Prävention. Anders gesagt: Ein Dollar in der Prävention rettet bis zu 25-mal so viele qualitative Lebensjahre wie ein Dollar in der Behandlung. Aber Behandlung rettet Leben jetzt, Prävention rettet Leben in der Zukunft.
STANDARD: Warum werden diese Studien nicht beachtet?
MacKellar: Wer Zweifel an der Aufteilung zwischen Behandlung und Prävention äußert, ist schnell unten durch. Es ist nicht die Art Argument, das die Leute in der Aidslobby hören wollen. Im reichen Teil der Welt gibt es eine enorme Solidarisierung mit Menschen, die dieses schreckliche Schicksal Aids haben. Der ehemalige US-Präsident Carter hat gesagt: "Ich bin ungeduldig, ich will jetzt Leben retten." Das ist das verbreitete Gefühl in humanitären Kreisen.
STANDARD: Welche Versäumnisse gibt es in der Prävention?
MacKellar: Wird eine Schwangere als HIV-positiv getestet, und gibt man ihr während der Schwangerschaft und solange sie ihr Kind stillt Nevirapin, reduziert man die Übertragungswahrscheinlichkeit von etwa 35 Prozent auf 10 Prozent. Die ganze Behandlung kostet etwa 250 Dollar. Diese Behandlung bleibt vielen infizierten Müttern in Schwarzafrika verwehrt. Oder nehmen wir die Frage der Beschneidung. Beschnittene Männer haben eine erheblich geringere Wahrscheinlichkeit, HIV zu übertragen oder selbst angesteckt zu werden. Werbung für Beschneidung verspricht sehr kosteneffizient zu sein. Da haben wir die Schattenseite der Medikalisierung von Aids in Afrika: Ärzte und Schwestern sind ausgebildet zu behandeln, aber nicht dazu, für Prävention zu sorgen.
STANDARD: Kam Prävention nicht durch Pepfar in Verruf?
MacKellar: Gegründet auf den Fall eines einzigen Landes, nämlich Uganda, behauptet Pepfar die Wirksamkeit von Abstinenzkampagnen und hat eine Milliarde Dollar für Programme reserviert, die Abstinenz vor der Ehe predigen. Das hat den Zorn der Aidslobby entfacht, weil es als puritanisch gilt. Umgekehrt dürfen Pepfar-Gelder nicht für Kampagnen bei Sexarbeitern oder Drogensüchtigen ausgegeben werden. Dabei ist Prävention bei Hochrisikogruppen besonders kosteneffizient.
STANDARD: Warum gibt es keinen Aufschrei in Afrika?
MacKellar: HIV-Infizierte organisieren sich. Wo ist die Lobby von Jugendlichen, Sexarbeitern oder ungeborenen Kindern? Es ist schwer für Politiker, Wähler sterben zu lassen, um auf lange Sicht mehr Menschenleben zu retten. Die Tragödie in Afrika ist, dass die Verantwortlichen über Jahre nicht über Aids reden wollten, ja sogar Missverständnisse gepflegt haben, wie etwa, dass Aids eine Verschwörung der Weißen oder ein Produkt der CIA sei. Seit Gelder aus der Entwicklungshilfe und von humanitären Organisationen fließen, schmücken sich die gleichen Politiker mit Behandlungsprogrammen. Als Politiker wird man viel lieber mit dem Eröffnen von Kliniken verbunden als mit Fernsehspots über die Risiken von ungeschütztem Sex oder mit Kampagnen, die sich an Heranwachsende oder an Sexarbeiter richten.
STANDARD: Unaids hat die Schätzung der HIV-Infizierten weltweit gerade von 40 auf 33 Millionen korrigiert.
MacKellar: Dass die Zahl zu hoch war, ahnen wir seit langem. Das ändert nichts daran, dass Aids das drängendste globale Gesundheitsproblem ist. (Stefan Löffler/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 1./2./12. 2007)
Der Standard, 1./2.12.2007, S.12
Die Infizierten von heute sind die Lobby der Gesunden von morgen !
Von Rainer Brandl
Afrika muss in Sachen AIDS vor allem sich selber helfen. Dazu braucht es Fairness und professionelle wissenschaftliche Aussagen sowie die Durchsetzung des Menschenrechts auf Behandlung für alle, Kampf gegen Korruption anstatt zynischer Diskussionen über den Einsatz zu knapper Ressourcen.
HIV/AIDS ist medizinisch gesehen eine Krankheit wie jede andere auch. Jeder Mensch hat ein Recht darauf, ausreichend behandelt zu werden. Auch gerade wenn die Behandlung so einfach und erfolgreich ist und zugleich auch der Vorbeugung von Neuansteckungen dient. Dazu braucht es gut funktionierende Gesundheitssysteme, die Pflege, Vorbeugung und Therapie aller Krankheiten und Gesundheitsprobleme durch Fachleute sicherstellen. Zu den Fachleuten und treibenden Kräften zählen neben dem Gesundheitspersonal auch die PatientenInnen und deren VertreterInnen.
IIASA-Experte MacKellar meint, dass AIDS von anderen Gesundheitsproblemen zu große Ressourcen absaugt. Ich denke, dass jeder Mensch auf dieser Welt möglichst gut mit den zu Verfügung stehenden Mitteln behandelt werden muss, und zwar bei jeder Krankheit. Finanziert muss werden, was benötigt wird. Das sind bei HIV/AIDS auch Antibiotika zur Behandlung von Infektionskrankheiten sowie antiretrovirale Medikamente, die dem/der Infizierten eine nahezu normale Lebenserwartung schenken. Malaria und Tuberkulose sowie jede andere Krankheit unterliegen den gleichen Regeln: Es muss alles getan werden, dass man sie nicht bekommt, aber wenn man sie hat, muss alles getan werden, um sie gut zu behandeln.
Würde man der Argumentation von MacKellar bezüglich der besseren Effizienz der Prävention folgen, dann sollte man sich für andere Bereiche des Gesundheitswesens vorstellen, was es bedeutet, wenn man Prävention gegen Behandlung ausspielt. Beispiel Bluthochdruck oder Zuckerkrankheit: Man könnte mit den Milliarden, mit denen unser Gesundheitssystem durch den Ankauf von sehr teuren Medikamenten zur Senkung von Blutdruck und Altersblutzucker belastet wird, sicher auch sehr wirksame Kampagnen zur Vorbeugung dieser Krankheiten machen (Gewichtsabnahme, Sport, Stressabbau, gesunde Ernährung,…) und dann dafür keine Medikamente zur Behandlung der Kranken ausgeben. Weil Vorbeugung mehr bringt und billiger ist. Streicht alle Medikamente, Ärztinnen und Ärzte, Pflegekräfte, Therapeuten, die sich mit der Behandlung dieser Krankheiten beschäftigen und steckt alles Geld in die Vorbeugung, es bringt mehr!
Therapie und Prävention kann man aus mehreren Gründen nicht voneinander trennen. Hier zeigt der Experte, dass er sich mit HIV/AIDS und der wissenschaftlichen Entwicklung und Diskussion nicht sehr auseinandergesetzt haben kann.
Es ist eine gut bekannte Tatsache, dass Therapie zum wichtigsten Standbein der Prävention geworden ist und zwar nicht nur bei der Verhinderung der Mutter-Kind-Übertragung, wo MacKellar übrigens für eine der medizinisch schlechtesten Methode Werbung macht, die viele Probleme, wie Resistenzen und schlechten Wirkungsgrad aufweist (Nevirapin).
Die zwei wichtigsten Argumente für eine Therapie als Prävention sind:
Erstens: Zugang zur Therapie erhöht die Zahlen derer, die sich testen lassen innerhalb kürzester Zeit um ein Vielfaches. Wer weiß, dass er/sie nicht sterben muss (weil es eine Behandlung gibt), der geht zum HIV Test. Wer nur den Tod vor Augen hat, der geht viel zu oft auch nicht testen. Auch das ist wissenschaftlich gut belegt und ich habe das in Afrika selbst erfahren, da die Testraten in unserer Klinik nach der Einführung der HIV/AIDS Therapie um das 10fache gestiegen sind. In der Folge bilden sich auf der ganzen Welt Patientengruppen, Selbsthilfegruppen der Überlebenden, die vor allem eines machen: Präventionsberatung und die Menschen auffordern, zum Testen zu kommen. Nur wer Bescheid weiß, steckt andere nicht an! Auch die Verwendung von Kondomen bei den Prostituierten steigt durch solche Programme, die Beschneidungsrate beim männlichen Geschlecht auch, sowie alle sinnvollen Maßnahmen. Viele Menschen kämpfen als Betroffene für bessere Behandlung und sind einer der wichtigsten Motoren in der Vorbeugung; sie sind die Lobby der Infizierten von morgen – und auch derer, die sich nicht infiziert haben!
Zweitens: Eine gut eingestellten HIV/AIDS Therapie mit antiretroviralen Medikamenten senkt die Zahl der Viren im Körper soweit, dass die Betroffenen so gut wie nicht infektiös sind (das Kondom muss trotzdem verwendet werden!); auch dazu gibt es eine Vielzahl von Studien. Und in diskordanten Paaren (HIV pos./HIV neg.) kommt eine Ansteckung unter Behandlung so gut wie nicht vor. Keine Vorbeugung?
Wie die vielen Studien gemacht werden, die zeigen, dass Prävention effizienter ist als Behandlung und dabei die Behandlung als eine der wichtigsten Präventionsmethoden außen vor lassen, das ist und bleibt ein Rätsel! Wie die Zahlen berechnet werden, um die Kostenfragen zu klären, oft auch. Die Therapie für ein Jahr kostet mittlerweile weniger als 250 Dollar, und die Verhinderung der Mutter-Kind-Übertragung, mit besseren Methoden als von McKellar angegeben, um Vieles weniger.
Niemand würde auf die Idee kommen, Blutdrucksenker für einen Europäer oder Amerikaner zu streichen und das ersparte Geld in die Prävention zu stecken weil belegt ist, dass es effizienter und kostengünstiger ist. Auch oder gerade weil das politisch unpopulär ist und nicht durchzusetzen ist. Das richtige Argument der Menschenverachtung eines solchen Handelns wäre wohl in aller Munde. Weg mit der Milliardenindustrie der Blutdruckmedikamente, ineffizient und zu teuer, saugt Ressourcen ab… Fahrräder her und Bewegung, das würde wohl nicht greifen.
Die Argumentation McKellars mag gut gemeint sein, zeigt aber vor allem wieder einmal, wie verschieden die Maßstäbe sind und wie ungleich unser Blick auf Menschen abhängig vom Geldbeutel und Lebensort: Reich lebt und Habenichts stirbt. Ein wissenschaftlicher Vergleich von Ausgaben für Waffen gegen Gesundheitsausgaben würde uns eher weiterhelfen.
Das Ganze ist ein ethisches Problem.
Zur Person:
Dr. Rainer Brandl, Jahrgang 1964, Allgemeinmediziner, leitet für den EAWM (Evangelischer Arbeitskreis für Weltkirche und Mission) von 2003 bis 2006 ein umfassendes HIV/AIDS Präventions- und Behandlungsprogramm in Tansania.
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